Auch wenn wir es uns selbst oft nur ungern eingestehen – wir beurteilen Menschen – egal ob im privaten oder im beruflichen Umfeld – zunächst nach der optischen Erscheinung.
Und das ist auch nicht verwunderlich. Ja, Sie ebenfalls. Natürlich weisen Sie das zunächst empört von sich. Sie pochen auf die Wichtigkeit innerer Werte und auf die Bedeutung hervorragender beruflicher Qualifikation.
Es gibt einen gesellschaftlichen Code, den es zu entschlüsseln und beachten gilt: den Dresscode. Egal in welchem Umfeld Sie sich bewegen. Der richtige Stil ist eine Art inoffizielle Zertifizierung, dass Sie in einer bestimmten Gruppe und Gesellschaftsschicht mitmischen dürfen – und können.
Der erste persönliche Eindruck kann kriegsentscheidend sein
Gehen wir circa 6 Millionen Jahre zurück, als die Menschheit in einem dichten Urwald zusammenlebte: Wenn plötzlich ein Lebewesen im Busch auf ein anderes Lebewesen gestoßen ist, musste es, um zu überleben, beim ersten Anblick blitzschnelle Entscheidungen treffen: Meine Gattung oder nicht? Wenn es meine Gattung ist: Männchen oder Weibchen? Wenn es ein Weibchen ist: Jung? Geschlechtsreif? Werben oder nicht …? Ist es ein Männchen? Ist er jung oder alt? Ein Rivale? Herausfordern – nicht herausfordern? Fressen oder gefressen werden…?
Diese unbewussten Entscheidungen – auch wenn es natürlich nicht mehr andauernd um Leben und Tod geht – treffen wir heute noch automatisch bei jeder Begegnung mit Menschen. Deshalb ist es schlichtweg falsch, zu sagen, Äußerlichkeiten wären nebensächlich. Wir folgen alle einem tief verankerten Denkmuster im Stammhirn und können gar nicht anders als schnelle (Vor)Urteile zu fällen. Der erste Eindruck erfolgt über Kommunikation – die verbale Kommunikation und die nonverbale Kommunikation.
55-38-7
Nonverbale Kommunikation beinhaltet das Aussehen und Auftreten, die Kleidung, die Stimme, den Tonfall, und zwar beim allerersten Eindruck. Deshalb verwundert auch die sogenannte 55-38-7-Regel, die der Kommunikationsforscher Albert Mehrabian in den 1970er-Jahren formulierte, kaum:
Der Mensch reagiert in den ersten Sekunden der Begegnung zu 55 % auf Körpersprache, das Aussehen, die Kleidung, zu 38 % auf die Stimme und den Tonfall – und nur zu 7 % Prozent auf den Inhalt. Beachtliche 93 % Beachtung für Äußerlichkeiten und nur magere 7 % Aufmerksamkeit bleiben für den Inhalt. Das macht relativ schnell deutlich, dass es im Businessdschungel nicht reicht, besondere Qualifikationen zu besitzen. Man muss auch in der Lage sein, diese Fähigkeiten anderen Menschen gegenüber überzeugend und authentisch auf allen Kanälen stringent zu vermitteln.
Nonverbale Botschaften
Kleidung, Frisuren, Bärte, Schmuck und andere Statussymbole, wie das Auto, die eigenen vier Wände, die Lage und Einrichtung der Kanzlei, sind zuerst einmal Indikatoren des Selbstwertgefühls eines Menschen. Sie zeigen, wo sich der Mensch einordnet oder sich gerade zugehörig fühlt.
Durch sein Aussehen und Auftreten sendet der Mensch Botschaften.
Manch einem ist es gar nicht bewusst, welche Botschaft er zum Beispiel mit schlampiger oder nur unpassender Kleidung aussendet. Manch einem ist es auch schlichtweg egal. Das mag im Privatleben und bei hohem Selbstbewusstsein (und dem Bewusstsein, auch mit den Konsequenzen zu leben) in Ordnung sein. Im Geschäftsleben allerdings kann es bedeuten, dass man(n)/frau bei Gehaltserhöhungen nicht bedacht wird. Als selbstständiger Anwalt kann es bedeuten, dass die richtigen Klienten ausbleiben, dass es vonseiten der Kollegen oder Richter an professionellem Respekt mangelt. Eine Art unsichtbare Mauer kann so auch den Erfolg einer Kanzlei durchaus beeinflussen – trotz hervorragender Qualifikationen des Anwalts und aller Mitarbeiter.
Sagt Ihr Hemd etwas über Ihre Qualifikation aus?
Diese Konsequenzen sind schmerzhaft, aber logisch. Sie haben jeden Tag die Wahl und Qual, sich für sich selbst und andere zu kleiden. Ihre Mitmenschen schätzen Sie nach Ihrem Aussehen und Auftreten ein. Natürlich sagt Ihr Hemd oder Ihr Rock nichts über Ihre fachliche Qualifikation aus – allenfalls über Ihren Geldbeutel. Aber unsere Gene täuschen uns vor, dass es so ist.
Aufgrund ihres ersten optischen Eindrucks werden (potenzielle) Mandanten Schlussfolgerungen über Ihren Status und Wohlstand, Ihre Bildung, Erfolg, Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit, Kultiviertheit, Herkunft, Angepasstheit bzw. Unangepasstheit ziehen.
Maßanzug und Gummisohle – jedem Anwalt seine Mandanten
Wenn Sie sich einmal mit offenen Augen in Ihrem beruflichen Umfeld umsehen, wird Ihnen auffallen, dass im besten Fall der Anwalt zu seinem Mandanten passt – oder umgekehrt.
Ein Rechtsanwalt oder Steuerberater, der ein mittelständisches Familienunternehmen berät, wird Ihnen am ehesten im dunkelblauen, maßgeschneiderten Dreiteiler, im weißen Hemd mit dezent gemusterter Krawatte begegnen. Teure Schuhe, die zu den Manschettenknöpfen passen und sehr gepflegte Haare und Hände verstehen sich dabei mehr oder weniger von selbst.
Das andere Extrem: Ein Anwalt der aus Überzeugung bei einer Umweltorganisation arbeitet, wird nicht mit Maßanzug vor Ihnen stehen. Eher in Cordhosen und mit kariertem Hemd – wenn es offizieller wird, dann gerne kombiniert mit einer wild gemusterten Krawatte, zu kurz gebunden und einem schlecht sitzenden Sakko. Gummisohlen statt Ledersohlen.
Fazit
Wer einen Hartz-IV-Empfänger im Beratungsgespräch im Maßanzug begrüßt, macht sich eher lächerlich, als dass er mit seiner Kleidung Kompetenz ausstrahlt.
Natürlich hat jeder Kleidungsstil seine Berechtigung. Allerdings ist nicht jeder Kleidungsstil in jedem Bereich angemessen. Und unabhängig vom Kleidungsstil ist es enorm wichtig, dass nicht nur Ihre Kanzleiräume geputzt und aufgeräumt sind. Auch Sie selbst sollten „aufgeräumt“ aussehen – egal was Sie tragen.
Auch als Anwalt muss man sich dessen bewusst sein, dass man automatisch non verbal durch unsere Kleidung, unseren Stil und Auftritt mit anwesenden Personen kommuniziert. Deshalb sollte man sich selbst von Anfang an auch optisch im allerbesten Lichte präsentieren, um nicht später einen schlechten ersten Eindruck bei einem Mandanten revidieren zu müssen. Und letzten Endes ist es auch eine Frage des Respekts und der Wertschätzung, die man seinen Mandanten mit angemessener Kleidung und einem gepflegten Äußeren entgegenbringt.
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