Gendern

Sprache im Jahr 2022: Gendern (Teil I) – Bilder im Kopf

Ja, schon wieder dieses Thema. Und erst kürzlich hatte ich eine Diskussion mit einem vermeintlich überzeugten Gender-Verweigerer: „Ist das wirklich nötig, dass man jetzt jeden sprachlich mit einbezieht?“ Und: „Muss das sein mit den Sternchen, das versaut doch wirklich jeden Text…“. Die Antworten auf diese zwei Fragen: Ja, es ist nötig, weil Sprache unsere Realität beeinflusst – und wenn nicht Ihre, dann die Ihrer Kinder. Und nein, es müssen nicht immer Sternchen sein.

Mit dem Thema „Bilder im Kopf“ befassen wir uns in diesem Teil der zweiteiligen Beitragsreihe. Wie man gendert, ohne dass ein Text aussieht wie ein Sternenhimmel, wird in zwei Wochen Thema sein.

Neumodischer „Sch…“?

Unsere Sprache ist geprägt vom generischen Maskulinum. Wir alle sind damit groß geworden. War immer schon so, bleibt dann halt auch so.

Wann ich das erste Mal dachte: „Hoppla, jetzt ist das Thema Gendern sogar in den ‚konservativen Kreisen‘ angekommen“? Als Anfang 2021 plötzlich in den Spätnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender gegendert wurde. Seitdem befasse ich mich mit dem Thema und gestehe: Bis zu diesem Zeitpunkt war Gendern für mich neumodischer „Sch…“.

Denn ich bin „sprachkonservativ“ aufgewachsen – neun Jahre Latein, vier Jahre Altgriechisch, fünf Jahre Englisch – Vater Anglist, Mutter Germanistin. Sprache ganz klassisch war 40 Jahre meine Sprachrealität. Man kann mir also nicht vorwerfen, dass ich mich in meinem Leben noch nicht mit Sprache beschäftigt habe – und nicht umsonst habe ich aus meiner Sprachleidenschaft einen Beruf gemacht.

Sprache schafft Bilder im Kopf

Nun also dieser neumodische „Sch…“. Und: „Hat die Welt keine anderen Probleme?!“ – ein gern genommener Konter, wenn ich gefragt wurde, warum ich nicht gendere.

Das änderte sich allerdings dann schlagartig, als mir klar wurde: Sprache schafft Bilder im Kopf, beeinflusst so (unbewusst) unsere Realität und vor allem die Realität kommender Generationen. Auslöser dafür war dieses Rätsel:

„Ein Vater und sein Sohn haben einen schweren Unfall. Der Vater stirbt beim Unfall, das Kind wird schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Als das Kind in den OP gebracht wird, sagt einer der Chirurgen: ‚Ich kann nicht operieren, der Junge ist mein Sohn.‘ Wie ist das möglich?“

Meine Lösung des Problems: Der Sohn hatte zwei Väter, war also Sohn eines schwulen Paares. Vollkommen klar. Das ist auch logisch betrachtet die einzig richtige Lösung – geht man nach dem, was da tatsächlich steht. Die gemeint richtige Lösung war allerdings: Der Chirurg war die Mutter. Aber allein die Formulierung „… sagt einer der Chirurgen…“ führt dazu, dass man sich einen Mann im OP-Kittel vorstellt.

Exakt so schafft Sprache Bilder im Kopf und unbewusste Realitäten. Und das ist vor allem für Kinder und Jugendliche eine Hürde, auch und gerade, wenn es um Berufsbilder geht: Ist doch immer noch oft nur die Rede vom Arzt, dem Anwalt, dem Elektriker, dem Astronauten, dem Piloten, dem Professor.

Wenn 14-jährige Mädchen aber immer nur von Astronauten, Schreinern, Zimmermännern, Chemikern, Piloten, Rechtsanwälten und Steuerberatern hören, schafft das aus meiner Sicht unnötige, unbewusste Hürden im Kopf, sich als Mädchen für einen dieser Berufe zu entscheiden.

Natürlich kann man sich auch mit dem generischen Maskulinum im Kopf für einen solchen Beruf entscheiden, sonst wäre ich heute nicht Rechtsanwältin. Wenn das Berufsbild und Rolemodels aber das gleiche Geschlecht wie die jugendliche Person selbst haben, erleichtert das Jugendlichen sicherlich, sich offen mit allen Berufsbildern auseinanderzusetzen.

Sprache sollte Spiegel der Zeit sein

Irgendwie ist nachvollziehbar, woher vor allem im beruflichen Kontext unsere maskulin geprägte Sprache wohl kommt. Sehr viele Berufe durften Frauen schlichtweg nicht erlernen, viele Fächer nicht studieren. Nicht umsonst hat bisher die Realität die Sprache bestimmt.

Aber warum sollte das nun nicht auch der Fall sein? Frauen studieren seit vielen Jahrzehnten, ergreifen inzwischen alle erdenklichen Lehrberufe, die früher nur Männer ergriffen haben. Frauen gehen zum Militär – und inzwischen nicht mehr nur als Krankenschwester.

Was spricht also dagegen, dass wir unsere Sprache dieser gar nicht mehr so neuen Realität anpassen? Was spricht dagegen, eine Frau, die mit Zulassung zur Anwaltschaft rechtsberatend tätig ist, auch als Rechtsanwältin zu bezeichnen – nicht als Rechtsanwalt? Was spricht dagegen, auf Websites etc. nicht von unseren „Rechtsanwälten“ zu sprechen, sondern von unserem „Team“ – oder Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen zu benennen, wenn auch Berufsträgerinnen Teil der Kanzlei sind? Nichts.

Nicht Sprache verbiegen – „nur“ korrekt und bewusst formulieren

Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich bin beim Thema Gendern nicht „militant“. Ich bin in erster Linie dafür, mehr auf die Sprache zu achten, die wir sprechen und schreiben, und sich genau auszudrücken – vor allem für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte doch eigentlich nichts Neues.

Denn was Sie sagen und schreiben beeinflusst die Wahrnehmung der Personen, die Ihre Texte lesen oder Ihnen zuhören. Und zuletzt noch ein Bespiel aus einem Songtext:

 „In einem Text von meiner Band dachte er, er wird erwähnt und beschimpft, und hat uns vor Gericht gezerrt. Er war natürlich nicht im Recht und musste dann die Gerichtskosten und Anwältin bezahln“ (Künstler: Danger Dan, Song: Alles von der Kunstfreiheit gedeckt).  

Was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge? Einen Mann, der den Sänger anwaltlich vor Gericht vertreten hat? Sicherlich nicht.

Und im zweiten Teil der Beitragsreihe zum Thema Gendern lesen Sie in zwei Wochen: Methoden zu gendern, ohne Sprache zu verhunzen.

Foto: Adobe Stock/©Gstudio