Eine Kanzlei ohne Strategie ist wie ein Schiff ohne Kompass: Auch wenn die Segel gesetzt sind und der Wind günstig steht, bleibt das Ziel unklar. Im juristischen Umfeld, das durch wachsende Konkurrenz, steigende Mandantenerwartungen und die zunehmende Digitalisierung geprägt ist, ist eine Kanzleistrategie nicht nur hilfreich, sondern entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Aber was bedeutet Kanzleistrategie und wie gelingt es, sie nicht nur zu formulieren, sondern zu leben?
Warum eine Kanzleistrategie?
Eine Strategie gibt Richtung. Sie schafft Fokus in einem Alltag voller Tagesgeschäft und Druck. Kanzleien, die wissen, wohin sie wollen, treffen klarere Entscheidungen. Das gilt für die Auswahl neuer Mitarbeitender bis zur Positionierung im Markt und dem Benennen der Mandantenzielgruppe. Strategielose Kanzleien agieren nicht – sie reagieren. Damit verpassen sie Chancen, denn sie sind ständig der Sklave ihres Tagesgeschäfts – egal, ob das rentabel ist oder nicht.
Die Bausteine einer durchdachten Kanzleistrategie
1. Selbstverständnis (Mission & Vision):
Die Mission zeigt, wie in der Kanzlei jeden Tag gearbeitet wird (hier beispielhaft für eine M&A-Kanzlei): „Wir begleiten Unternehmen und Unternehmer:innen bei wirtschaftlich entscheidenden Transaktionen – mit klarem juristischem Verstand, unternehmerischem Gespür und einem tiefen Verständnis für die Menschen hinter den Zahlen. In jeder Phase des Deals sind wir verlässlich, lösungsorientiert und persönlich ansprechbar – weil erfolgreiche Transaktionen nicht nur auf Fakten beruhen, sondern auf Vertrauen.“
Wer sind wir, wofür stehen wir – und wohin wollen wir? Diese Fragen sind das Fundament jeder Kanzleistrategie. Eine klare Vision ist mehr als ein Satz auf der Website, sie ist die DNA des Unternehmens Kanzlei. Die Vision inspiriert, gibt Sinn und erzeugt Stolz im Team und bei den einzelnen Anwältinnen und Anwälten. Die Mission wiederum beschreibt, welchen Beitrag die Kanzlei im juristischen Gefüge leisten möchte – etwa: „Unsere Kanzlei ist der Ort, an dem Deal-Making auf Menschlichkeit trifft. Gemeinsam gestalten wir Zukunft – strategisch stark, juristisch klar und menschlich.“
2. Zielgruppenanalyse:
Welche Mandantinnen und Mandanten wollen wir ansprechen? Ohne ein genaues Bild der Wunschmandanten droht die Gefahr, sich zu verzetteln. Wer alle erreichen will, ist für niemanden relevant. Eine Kanzlei, die sich beispielsweise auf Familienrecht für Akademiker:innen spezialisiert, braucht andere Kommunikationskanäle, als eine Kanzlei mit Fokus auf eGaming.
3. Wettbewerbsanalyse:
In welchem Markt bewegen wir uns? Welche Kanzleien sind in unserem Segment aktiv? Was machen sie gut – und was können wir besser? Die Wettbewerbsanalyse ist kein Blick durch die Lupe auf die Konkurrenz, sondern eine Einladung zur Reflexion der eigenen Positionierung. Oft zeigt sich: Der Wettbewerb schläft nicht – und die sichtbare Differenzierung wird zur Überlebensfrage.
4. Positionierung & Markenbildung:
Eine klare Marke schafft Wiedererkennbarkeit. Das bedeutet nicht zwangsläufig ein fancy Logo oder eine hippe Website – sondern eine konsistente Botschaft, ein erkennbarer Stil, ein klares Leistungsversprechen, eine Wiedererkennbarkeit. Was ist unser Alleinstellungsmerkmal (USP)? Was würden Mandantinnen und Mandanten über uns sagen? Diese „unsichtbare Wahrnehmung“ ist entscheidend – und formt das Bild, das andere von der Kanzlei haben.
5. Kulturelle Leitlinien:
Strategie ist mehr als Papier – sie wird durch Menschen zum Leben erweckt. Daher lohnt sich der Blick nach innen: Wie arbeiten wir zusammen? Wie kommunizieren wir? Welche Werte sind uns wichtig – Vertrauen, Integrität, Augenhöhe? Gerade in Kanzleien mit gewachsenen Strukturen ist Kultur ein leiser, aber prägender Faktor. Wer hier klare Leitplanken definiert, schafft ein Umfeld, das nicht nur produktiv, sondern auch menschlich ist.
6. Zukunftsplanung:
Wohin soll die Reise gehen? Welche Wachstumsmöglichkeiten gibt es? Wie können wir neue Technologien – von Legal Tech bis KI – sinnvoll integrieren, ohne unsere Kernidentität zu verlieren? Zukunftsplanung bedeutet nicht, jede neue digitale Sau durchs Dorf zu treiben, sondern kluge Entscheidungen zu treffen: Was bringt echten Mehrwert für unsere Mandantschaft und unsere Mitarbeitenden?
So entwickeln Sie Ihre Strategie – praxisnah und mit Herz
Strategieentwicklung ist kein Einmalprojekt. Es ist ein Prozess, der Zeit, Offenheit und Beteiligung braucht. Am Anfang steht immer die ehrliche Bestandsaufnahme: Wo stehen wir heute – fachlich, wirtschaftlich, menschlich?
Dann folgen meist Workshops, Interviews und interne Gespräche. Es lohnt sich, externe Sparringspartner einzubinden – nicht als Besserwisser, sondern als Perspektivgeber. Doch der entscheidende Punkt ist: Strategie entsteht nicht im Elfenbeinturm der Partner:innen, sondern gemeinsam mit dem Team. Denn nur so wird sie später gelebt.
Wenn alle mit an Bord sind – vom Empfang bis zur Fachabteilung – dann wird aus einem Strategiepapier ein echtes Leitbild. Und das spüren nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch die Mandantinnen und Mandanten.
Ein bewährter Tipp: Beginnen Sie klein. Lieber eine greifbare Maßnahme umsetzen (z. B. ein neues Onboarding für die Mandantschaft oder eine LinkedIn-Kampagne), als sich in großen Visionen zu verlieren. Erfolgserlebnisse schaffen Vertrauen – und Motivation für den nächsten Schritt.
Sympathie als strategischer Faktor
In einer Zeit, in der viele Rechtsfragen mit einem Klick gegoogelt werden können, wird der menschliche Faktor zum echten Wettbewerbsvorteil. Mandant:innen wollen nicht nur juristisch gut beraten werden – sie wollen sich verstanden fühlen. Vertrauen entsteht nicht allein durch Fachwissen, sondern durch Persönlichkeit, Authentizität und echte Beziehung.
Deshalb gehört auch die Frage zur Strategie: Wie wirken wir nach außen? Wie kommunizieren wir? Wie schaffen wir eine Atmosphäre, in der sich Mandantschaft und Mitarbeitende wohlfühlen?
Sympathie ist kein „Nice-to-have“, sondern ein Türöffner. Sie entsteht durch Haltung, durch Offenheit und durch echte Kommunikation – nicht durch Hochglanzprospekte. Wer diesen Aspekt in seine Strategie integriert, schafft nicht nur wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch eine Kanzleikultur, auf die man stolz sein kann.
Fazit: Strategie mit Substanz und Seele
Eine durchdachte Kanzleistrategie ist kein Luxus, sondern ein essenzielles Führungsinstrument. Sie schafft Klarheit, Orientierung und Motivation. In einer Welt des Wandels ist sie der Anker, der Stabilität gibt – und der Kompass, der den Kurs vorgibt.
Aber sie ist noch mehr: eine Einladung, gemeinsam zu wachsen, sich weiterzuentwickeln und das Beste aus der eigenen Kanzlei herauszuholen. Mit klarem Kopf. Mit offenem Herzen. Und mit der Gewissheit, dass der Weg genauso wichtig ist wie das Ziel.
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