barrierefreie kanzleiwebsite

Barrierefreie Kanzleiwebsite Teil I: Kann oder Muss?

Menschen mit Sehbehinderungen, motorischen Einschränkungen oder kognitiven Beeinträchtigungen haben oft Schwierigkeiten bei der Nutzung von Websites: wenig Kontrast, zu kleine Schrift, komplexe Sprache und zu kleine Buttons.  

Hier setzt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) an und macht rechtliche Vorgaben zur Barrierefreiheit bestimmter (digitaler) Produkte und Dienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher. Ab Mitte 2025 werden die Vorgaben des BFSG für die Privatwirtschaft verbindlich – vor allem Unternehmen, die digitale Produkte und Dienstleistungen anbieten, sind in der Pflicht.

Aber inwieweit hat das Auswirkungen auf Websites von Kanzleien? Betrifft das Thema Kanzleien überhaupt?

Für welche Kanzleien könnte das BFSG gelten?

Das BFSG gilt nicht für alle Unternehmen und damit auch nicht für alle Kanzleien. Das Gesetz verpflichtet nur Unternehmen, die (auch) Verträge mit Privatpersonen schließen. Unternehmen, die ihre Dienstleistungen ausschließlich im B2B-Sektor anbieten, müssen sich nicht an die Vorgaben des BFSG halten.

Für Kanzleien, die nur Privatmandate bzw. auch Privatmandate beraten, kann das BFSG also anwendbar sein. Handelt es sich bei der Kanzlei allerdings um ein Kleinstunternehmen i. S. d. BFSG, greift das Gesetz nicht: Unternehmen und Kanzleien mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanzsumme von höchstens 2 Millionen Euro müssen die Regelungen des BFSG nicht umsetzen.

Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr

Aber muss nun jede größere Kanzlei mit Privatmandatsgeschäft ihre Website vollständig barrierefrei gestalten?

Nein. Nur, wenn eine solche Kanzlei Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr erbringt, müssen diese Dienstleistungen laut BFSG barrierefrei gestaltet sein – bzw. die Website an der entsprechenden Stelle:

„Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, also Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden und elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden (§ 2 Nr. 26 BFSG)“.

Bezogen auf Kanzleien und ihre Websites bedeutet das: Werden bestimmte Dienstleistungen der Kanzlei unmittelbar digital an Privatpersonen vertrieben, sind dafür und an dieser Stelle der Website die Anforderungen des BFSG einzuhalten.

Hinweis! Auf Kanzleiwebsites, auf denen sich nur Informationen finden und über die man Kontakt zu Kanzlei aufnehmen kann (E-Mail, Kontaktformular etc.), sind die Anforderungen des BFSG nicht einzuhalten. Hier besteht kein Anpassungsbedarf.

Was bedeutet das konkret?

Sobald auf einer Website von größeren Kanzleien Beratungsprodukte für Privatmandantinnen und -mandanten angeboten werden, die Verbraucher direkt „buchen“ können, muss dieser Teil der Website barrierefrei gestaltet sein. Maßgeblich ist die Möglichkeit, digital (über die Website) einen Verbrauchervertrag abschließen zu können.

Sobald auf einer Website von größeren Kanzleien Beratungsprodukte für Privatmandantinnen und -mandanten angeboten werden, die Verbraucher direkt „buchen“ können, muss dieser Teil der Website barrierefrei gestaltet sein. Maßgeblich ist die Möglichkeit, digital (über die Website) einen Verbrauchervertrag abschließen zu können.

Hinweis: Für Websites, die Informationen und buchbare Beratungsprodukte enthalten, gelten die Vorgaben des BFSG nur für die Bestandteile der Website, die in Zusammenhang mit dem Abschluss eines Verbrauchervertrags stehen.

Denkbar ist hier im Kanzleikontext z. B. die unmittelbare (verbindliche) Buchung einer Erstberatung oder eines in sich abgeschlossenen Beratungsproduktes. Können z. B. Beratungstermine oder Beratungspakete von Privatmandantinnen und -mandanten online gebucht werden, muss dieses Angebot bei größeren Kanzleien barrierefrei gestaltet sein.

Das gilt unabhängig davon, ob die Dienstleistung kostenfrei oder kostenpflichtig angeboten wird. Für die Anwendung des BFSG kommt es nur darauf an, dass ein Verbrauchervertrag geschlossen wird – nicht darauf, ob die Dienstleistung kostenpflichtig oder kostenfrei erbracht wird.

Online-Formulare, Chatbots und Co.: Greift das BFSG?

Aber was gilt, wenn der Vertrag nicht direkt online geschlossen wird, aber der – digital vorbereitete – Vertragsschluss nur noch eine „Formalie“ ist? Hier gibt es Stimmen, die davon ausgehen, dass ein solches Angebot auf der Website barrierefrei gestaltet sein muss.

Denkbar ist eine solche Konstellation auf einer Kanzleiwebsite z. B., wenn umfassende Online-Formulare bspw. für eine Unfallabwicklung oder eine Online-Scheidung bereitgehalten werden, oder bei Chatbots. Kanzleien, die auf der Website entsprechende digitale Tools zur Verfügung stellen, könnten verpflichtet sein, die Website an diesen Stellen barrierefrei zu gestalten.

Allerdings sind diese technischen Lösungen (Online-Formulare, Chatbots) wohl „nur“ eine digitale Möglichkeit, mit der Kanzlei in Kontakt zu treten und effizient Fakten zu übermitteln. Sie sind Marketing– und Kommunikations-Tool und dienen allenfalls der qualifizierten Kontaktaufnahme.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein „elektronischer Geschäftsverkehr vorliegt“, wenn wesentliche Zwischenschritte auf dem Weg zum Abschluss eines Vertrages erfüllt werden, bin ich im Falle von Chatbots und detaillierten Onlineformularen auf Kanzleiwebsites nicht davon überzeugt, dass es sich dabei bereits um elektronischer Geschäftsverkehr handelt: Bis es zur Mandatsvereinbarung kommt, sind noch (zu) viele Zwischenschritte notwendig.

Die Mandatsvereinbarung an sich ist in diesen Fällen eben nicht „nur noch eine Formalie“. Damit ist das BFSG m. E. für die Gestaltung der Website auch dort nicht maßgeblich, wo Chatbots oder Online-Formulare zum Einsatz kommen.

Barrierefreie Kanzleiwebsite: meist ein Kann, kein Muss

Das BFSG wird für viele Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen digital an Verbraucher vertreiben, eine große Rolle spielen, auch bei der Gestaltung barrierefreier Websites.

Für Kanzleien besteht allerdings nur in Ausnahmefällen Anpassungsbedarf in Hinblick auf die Barrierefreiheit der Kanzleiwebsite. Denn nur Kanzleiwebsites größerer Kanzleien, auf denen Privatpersonen Beratungsleistungen unmittelbar digital buchen können, z. B. in Form direkt buchbarer Beratungstermine oder Beratungsprodukte, müssen an bestimmten Stellen barrierefrei gestaltet werden.

Ob es unter Umständen für Kanzleien dennoch sinnvoll ist, Kanzleiwebsites freiwillig barrierefrei zu gestalten, und wie das gelingt, darum geht es im Beitrag in zwei Wochen.

Foto: Adobe Stock/©vegefox.com