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Legal Tech: Produktbasierter Marketingansatz und Chance für jeden?

Als ich im Jahr 2013 das Wort „Legal Tech“ das erste Mal in den Mund genommen habe, wollte niemand etwas davon hören. 2017 findet ein Anwaltstag zum Thema „Legal Tech“ statt, die NJW bringt eine Sonderbeilage, die sich nur „Innovationen und Legal Tech“ widmet und der traditionsreiche Verlag C. H. Beck investiert in ein Legal-Tech-Startup.

Dabei ist Legal Tech im Wesentlichen vielleicht nicht viel mehr als produktbasierter, technisch unterstützter Marketingeinsatz.

Verstehen Sie den Legal-Tech-Trend unabhängig von Software

Das größte Problem mit dem Begriff „Legal Tech“ ist ein Missverständnis über den aktuellen Wandel am Markt. Es werden hochtrabende, fast durchweg oberflächliche Berichte über Legal Tech veröffentlicht, die vor allem Angst vor dem Unbekannten schüren. Es wird von „artificial intelligence“ (AI) gesprochen, während die Realität noch eine andere ist.

Natürlich, Software, Automation und AI werden auch den Beruf des Anwalts prägen. Dennoch ist der Kern des Wandels im Jahr 2017 ein anderer. Momentan ist das Thema, eine unternehmerische Kanzleiauffassung und einen produktbasierten, Technik- bzw. IT-gestützten Marketingansatz zu leben und das strategisch umzusetzen: um anwaltliche Dienstleistungen zu einem Erlebnis für Mandanten zu machen und zeitgleich ein oder mehrere Beratungsprodukte zu skalieren.

Rechtsdienstleistungen als Produkt – das ist Legal Tech!

In Produkten zu denken, ist nicht nur Trend im Bereich Legal Tech. Marketing und Vertrieb starten generell beim Produkt. Das prägt m.E. auch das Verständnis von Rechtsdienstleistungen im Legal-Tech-Zeitalter: Rechtsdienstleistungen als Produkt mit technischer Unterstützung abzubilden, ist die Herausforderung.

Das erfordert aber ein kreatives Verständnis der Zielgruppe und v.a. die Fähigkeit, alte Konventionen fallenzulassen. Denn der Mandant erwartet heute selbst bei einem Verkehrsunfall einen Rundum-Service, der dem Dienstleistungserlebnis in anderen Branchen entspricht. Der Anspruch, die Erkenntnisse aus anderen Branchen für die Rechtsberatungsbranche zu adaptieren, führt zu folgender Frage:

Wie kreiere ich ein (Beratungs)Produkt, das eine fest umrissene Zielgruppe hat, sehr eng inhaltlich und mit klaren Prozessen intern definiert ist und dessen Inanspruchnahme für Mandanten möglichst keine Hürden offenbart?

Genau diese Frage charakterisiert den Legal-Tech-Trend par excellence, denn es geht für jeden Anwalt zunächst darum, den Markt und vor allem den Kunden zu verstehen. Mit diesem Verständnis beginnt der Wandel hin zum Legal Tech, der dann zielgerichtet durch Software unterstützt werden kann.

Erfolgsreichste Legal-Tech-Startups glänzen mit Produktverständnis

Sie glauben mir nicht? Dann lassen Sie uns einen Blick auf die gemessen am Umsatz erfolgreichsten deutschen Startups im Bereich Legal Tech schauen:

• Jobcenter-Schutzschild, hartz4widerspruch.de, by rightmart
• Fluggast-Entschädigung, flightright.de (u.v.m.)
• Abgasskandal, myright.de
• Bußgeldbescheide, geblitzt.de
• Intelligent Information Extraction, Leverton

Abgesehen von Leverton, die sich wirklich um „Tech“ kümmern, sind alle hier genannten ökonomisch erfolgreichen Startups in Deutschland aus Sicht des Mandanten produktgetrieben. Sie haben gemeinsam, dass sie zur richtigen Zeit einen Markt erkannt oder ein Produkt platziert haben, das auf Kunden wirkt, als bestelle er eine maßgeschneiderte Rechtsdienstleistung. Dabei interessiert potenzielle Mandanten nicht im Geringsten, welche oder wieviel Software eingesetzt wird.

Bereit sein

Es ist enorm wichtig, zu verstehen, dass die Mandanten künftig nicht mehr wegen Ihrer Präsenz in den Gelben Seiten zu Ihnen kommen. Die Aufmerksamkeit der Menschen richtet sich zu 85 Prozent auf das Display des Handys. Wenn Sie dort nicht erscheinen, verlieren Sie sukzessive Marktanteile.

Aus diesem Grund ist es maßgeblich, dass Sie Zeit und Geld in das Erlernen der Marketing-Fähigkeiten investieren, die für den Markt von morgen wichtig sind. Sich mit technischen Tools und mit dem Thema (Online-)Marketing auseinanderzusetzen, ist wesentlicher Bestandteil des Legal-Tech-Trends.

So implementieren Sie den Wandel Legal Tech in Ihre Kanzlei

  1. Analyse: Fokus und strategische Ausrichtung schärfen!
    • Top-5-Mandatsarten der letzten 24 Monate detailliert kategorisieren
    • Kategorien auf Wirtschaftlichkeit und Skalierbarkeit überprüfen
    • Kosten- und Umsatzstruktur dieser Mandate ermitteln
  2. Kreativarbeit: Top-3-Kategorien in Produkte verwandeln!
    • Aus Sicht des potenziellen Mandanten denken
    • Preistransparenz schaffen
    • Inhalte für Website, Facebook-Page und Blog erstellen
  3. Aufmerksamkeit: Bringen Sie Ihr Produkt an den Mann!
    • Online-Marketing: z.B. Google Adwords und Facebook Business-Manager
    • Feedback der Kunden für weitere Iterationen einsetzen
  4. Software, Struktur: Evaluieren Sie Tools zur Verbesserung Ihres Service und Ihrer Prozesse!
    • Auswahl an SaaS (Software as a Service): Zendesk, Zapier, Candis, SignatureIT, Mailchimp, G-Suite, Google Analytics
    • Ausgewählt einsetzen, um damit Teile Ihrer Prozesse aktiv zu verbessern

Gewappnet sein

Wenn Sie künftig nicht aus Sicht möglicher Mandanten denken, nicht Ihre Service-Qualität und Akquisitionskosten (inkl. neuer Marketingkanäle) im Blick behalten, werden neue Rechtsdienstleister sukzessive Ihre Marktanteile gewinnen.

Aber natürlich bleibt die Chance, Nischen zu finden und erfolgreich zu besetzen. Es braucht nur das nötige Handwerkszeug im technisch unterstützten Kanzleimarketing. Und wer den Trend Legal Tech richtig einzuschätzen weiß, kann die größte Marktchance der letzten 50 Jahre effektiv für sich nutzen.

Foto: fotolia/everythingpossible